Mit dem Obstkorb, den Sneakers und dem Tischkicker ist es manchmal wie mit der Regenbogenflagge vor dem Unternehmenssitz: Es genügt nicht, es einfach zu haben, um der „best workplace“ zu sein. Vereinbarkeit muss gelebt werden. Es ist also eine Frage der Einstellung – und damit der Unternehmenskultur.
Doch wie wird aus Work-Life-Blending eine echte Vereinbarkeit von Job und Privatem? Wie schaffe ich ein Umdenken ohne Vorurteile in der Belegschaft? Und warum sind alte weiße Männer gar nicht so „schlimm“?
Jeder hat etwas zu vereinbaren.
Jede:r Arbeitnehmer:in kommt mehrmals im Leben in die Situation, dass Vereinbarkeit für sie bzw. ihn relevant wird. Als junge:r Berufseinsteiger:in oder Azubi zum Beispiel ist es die Zeit mit Freund:innen, das Hobby, die Freizeit oder eine Karriere als nebenberufliche:r Influencer:in, die vereinbart werden will.
Ein paar Jahre später, wenn sich die Karriere gefestigt hat, kommt der Wunsch nach Familie und mit ihr Zeit zu verbringen. Themen wie Hochzeit, unbeschwerte Schwangerschaft, Elternzeiten von Müttern und Vätern, durchzechte Nächte mit Babys und Trotzanfälle von gefühlsstarken Kleinkindern stehen hier im Vordergrund.
Dann haben wir eine Baby-Boomer-Generation – Leistungsträger, die jetzt körperlich und psychisch an ihre Grenzen kommen. Für sie ist es besonders schwer, Karriere nun vielleicht auch mal hintenanzustellen, wo sie doch immer gekämpft haben und über Leistung definiert wurden. Hinzu kommt, dass diese Generation ab 2025 nach und nach in Rente geht und nicht genügend junge Arbeitskräfte nachkommen.
Gleichzeit entsteht die eigentlich größte Herausforderung für Unternehmen in der Zukunft: die Vereinbarkeit mit der Pflege von Angehörigen. Denn hier spüren wir ganz akut den demografischen Wandel und seine Auswirkungen. Wie auch schon während Kinderpflegezeiten betrifft dies vor allem Frauen und ihre nicht mehr zu vereinbarende Vollzeitstelle. Und der größte Pflegedienst Deutschlands, die Angehörigen selbst, sind jetzt schon an mentalen, finanziellen und sozialen Belastungsgrenzen.
Am Ende der Arbeitszeit – wer will schon bis 70 voll arbeiten!? – brauchen wir wieder moderne Arbeitsmodelle, die es möglich machen, eine Vereinbarkeit mit der eigenen Gesundheit oder der Familie zu leben.
Jeder hat also etwas zu vereinbaren! All diese Arbeitnehmer:innen suchen daher Arbeitsplätze, die erfüllend sind und sich individuell mit dem Privaten in Einklang bringen lassen – da ist es völlig egal, ob ich Senior Director, Azubi oder Teilzeitmutti mit Zwillingen bin.
We are hiring – am besten jeden, den wir kriegen können.
Auch Unternehmen haben mit diesen Herausforderungen zu kämpfen. Der stetig steigende Fachkräftemangel, der besonders im ländlichen Raum bereits angekommen ist, führt zu einem Kampf um Talente. Arbeitgeber:innen müssen sich entsprechend positionieren, sich möglichst breit (generationenübergreifend, divers und fachlich vielfältig) aufstellen und Vereinbarkeit als DAS neue Must-Have einsetzen.
Die meisten Unternehmen handeln immer noch in der Annahme, dass Vielfalt, Vereinbarkeit oder Inklusion noch keine Themen sind, mit denen sie sich „jetzt“ beschäftigen müssten. Das was bisher geklappt hat, funktioniert ja gut und der Vertrieb erreicht mit seinen schicken Autos auch irgendwie seine Ziele. Altes hat sich bewährt und alle haben sich dran gewöhnt.
Allerhöchste Eisenbahn, liebe Unternehmen.
Doch wir werden unsere Arbeitswelt in Zukunft nicht mehr wieder erkennen. Der Fachkräftemangel und der damit einhergehende War of Talents zwingt zu einem Umdenken. Aufgrund des Arbeiternehmer:innenmarktes und vor allem aufgrund des demografischen Wandels wächst der Handlungsdruck gerade für die Unternehmen, die bisher untätig geblieben sind. Dabei ist das kein neues Problem: Der demografische Wandel kündigt sich seit Jahren an! Die „Fachkräftelücke“ habe sich im Jahresverlauf mehr als verdoppelt, teilte das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im Februar mit. Die Zahl der offenen Stellen stieg 2021 von rund 213.000 auf gut 465.000! Besonders brisant: Der steigende Fachkräftemangel trifft dem IW zufolge den gesamten Arbeitsmarkt.
Die Lösung? Die Zielgruppe an Mitarbeiter:innen erweitern und sich als Arbeitgeber:in durch Konzepte zur besseren Vereinbarkeit in Stellung bringen, um eine diversere und inklusivere Arbeitswelt zu schaffen. Aber wie geht das?
The biggest fails – Was ich als Arbeitgeber:in falsch machen kann.
1. Mitarbeiter:innen verlassen nicht ihre Unternehmen, sie verlassen ihre Chefs
Was es braucht ist eine empathische Führung. Eine Führung, deren Ziel nicht Umsatz und Gewinn ist, sondern die/ den Mitarbeiter:in als Mensch ins Zentrum stellt und selbst Vorbild und Gestalter ist. Eine Führungskraft, die Vereinbarkeit vorlebt (Führung in Teilzeit, offener Umgang mit Pflege eines/-r Angehörigen, Familienvater etc.), wird eine offenere Vereinbarkeitskultur im Team schaffen.
Wir brauchen neue Führungsstile dringender denn je. Leader müssen ihre Mitarbeiter:innen befähigen, motiviert arbeiten zu können. Weniger fachlich, mehr sozial und empathisch – aber vor allem authentisch!
2. Diversity-Bias und Stereotyping
Wir alle haben immer wieder Vorurteile und blinde Flecken. Gegenüber Menschen mit Beeinträchtigung, gegenüber Menschen im Alter, gegenüber Menschen mit einer anderen Hautfarbe als der eigenen. Gegenüber Männern, gegenüber Frauen. Schubladen zu schließen fällt uns oft schwer. „Eine Teilzeitmutti will sowieso nur vormittags arbeiten“, „Der ist doch nur faul oder wieso geht der jeden Donnerstag um halb vier?“ oder „Die Jungen wollen doch eh nur Party machen.“ sind kognitive Verzerrungen, die ich in Unternehmen reintrage und viel zu selten hinterfrage. Jede:r Unternehmer:in, jede:r Führungskraft sollte sich aber fragen: Wieso hat diese:r Mitarbeiter:in dieses Bedürfnis?
3. Viele Generationen unter einem Dach
Alte weiße Männer wollen keine moderne Arbeitskultur – sie sind die Blocker einer modernen Arbeitskultur. Ist das wirklich so?
In einem Unternehmen kommen mehrere Generationen zusammen: Die Gen Z, die Millenials, die Golf-Generation und die Baby Boomer. Das ist zwar herausfordernd, aber auch eine Chance. Nicht alles Gestrige ist schlecht. Nicht alles Neue ein Hype. Alle Generationen haben unterschiedliche Vorstellungen von Arbeit, Freizeit oder Führung und alle Generationen haben unterschiedliche Schwächen und Stärken. Die Älteren bringen die meiste Erfahrung mit, können Mentoren sein. Die jungen Rebellen sind fachlich oft extrem gut und wissenshungrig. Altersvielfalt ist nachweislich ein Wettbewerbsvorteil und (alters-)gemischte Teams erzielen schnellere, bessere Ergebnisse. So, do it!
4. Nachhaltige personalpolitische Ziele in den Werten verankern
83% der Arbeitnehmer:innen sind im Job nicht engagiert. Das ergab eine Studie von Gallup. Man stelle sich vor, wir hätten derart schlechte Werte in der Kundenzufriedenheit! Man würde doch sofort handeln, oder?
Wirtschaftliche und kundenorientierte Ziele stehen in den meisten Unternehmen immer noch über den personalpolitischen Zielen – und das, obwohl motivierte Mitarbeiter:innen maßgeblichen Einfluss darauf haben, wie sich ein Unternehmen wirtschaftlich entwickelt. Daher: Mitarbeiter:innenziele in die Unternehmenswerte! Was bringt Professionalität ohne Mitarbeiter:innen? Was bringt/ schafft Kunden- und Dienstleistungsorientiertheit ohne Mitarbeiter:innenzufriedenheit oder Vereinbarkeit?
5. Vereinbarkeit betrifft nicht nur Mütter
Der Trugschluss: Vereinbarkeit betrifft nur die Working-Moms.
Aber was ist mit den Teilzeitvätern, den Workation-Lovers, den Profifußballer:innen oder den pflegenden Angehörigen? Vereinbarkeit betrifft jeden von uns – auch den/die Chef:in!
Finally: die Lösung.
Wie wird also aus Vereinbarkeit mehr als nur ein Buzzword? Wie profitieren Unternehmen davon? Welche Stellschrauben müssen Unternehmen drehen? Wo ist die Rolle eines/r Vereinbarkeitsbeauftragten am besten verankert? Wie zeitgemäß ist es, sich mit Vereinbarkeit und Diversität zu beschäftigen? Diese Fragen werden uns in den kommenden Jahren immer mehr umtreiben. Allgemeingültige Antworten auf die entstehenden Fragen und eine Standardlösung gibt es nicht. Jedes Unternehmen muss auch im Hinblick auf seine Unternehmenskultur und die betrieblichen Erfordernisse und Rahmenbedingungen seinen ganz eigenen Weg dafür finden.
Was aber immer gilt: Echtes Engagement, eine klare Mitarbeiter:innen-Strategie bzw. nachhaltige Personalpolitik nach innen und außen machen den Unterschied. Egal welches Geschlecht, welches Alter, welche familiären Konstellationen, welche Vereinbarkeiten, welche Lebensphase, welche ethnische, nationale und soziale Herkunft, welche sexuelle Orientierung, welche körperlichen und geistigen Fähigkeiten, welche Religion oder Weltanschauung. Mit einer diversen Belegschaft ist Vereinbarkeit für alle erreichbar.
#vereinbarkeitfüralle
Katrin Dzimiera, cocowork UG
Work-Life-Blending, Diversity-Bias, Stereotyping und alte, weiße Männer: Was ich als Arbeitgeber:in alles falsch machen kann.
Mit dem Obstkorb, den Sneakers und dem Tischkicker ist es manchmal wie mit der Regenbogenflagge vor dem Unternehmenssitz: Es genügt nicht, es einfach zu haben, um der „ best workplace“ zu sein. Vereinbarkeit muss gelebt werden. Es ist also eine Frage der Einstellung – und damit eine Unternehmenskultur.
Doch wie wird aus Work-Life-Blending eine echte Vereinbarkeit von Job und Privatem? Wie schaffe ich ein Umdenken ohne Vorurteile in der Belegschaft? Und warum sind alte weiße Männer gar nicht so „schlimm“?